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Warum uns Stille guttut

Für Stille gibt es heute nur noch wenig Raum. Viele gehen der Stille sogar aus dem Weg. Wir sind sie nicht mehr gewöhnt – lieber den Fernseher anschalten oder Musik nebenbei laufen lassen. Doch Stille verleiht unserem Leben Tiefe und ermöglicht Reflexion. Auch können sich so unsere Sinne entspannen, und wir können unsere Intuition deutlicher wahrnehmen.

15. Januar 2019

Wir brauchen Stille

Stille hilft uns, Geschehenes zu verarbeiten, Erlebnisse wirken zu lassen und Tiefe im Leben zu erfahren. Wir lieben Erlebnisse. Sie sind ein Grund dafür, dass wir so gerne verreisen. Wir erleben Neues. Wir fangen eine Unmenge an neuen Eindrücken ein. Aber stell dir einmal vor, du wärst auf einer einjährigen Reise und würdest jeden Tag eine neue Stadt ansehen. Es gäbe keinen Tag Pause. Jeden einzelnen Tag würdest du neue Sehenswürdigkeiten besuchen. Dann hätten die einzelnen Erlebnisse irgendwann gar keine Bedeutung mehr. Zu viele Eindrücke ohne Ruhephasen, um diese zu verarbeiten, verkümmern letztlich zu reinen Impulsen, die wir nur noch wahrnehmen, aber nicht mehr einordnen, wirken lassen und wertschätzen können.

Erst wenn wir zur Ruhe kommen, werden aus externen Eindrücken Erfahrungen – erst dann können wir den Erlebnissen einen Sinn geben. Erlebnisse sind in dem Moment, in dem wir sie erleben, spannend und machen Spaß, aber schließlich sind es die Erinnerungen, die uns ein Leben lang begleiten.

Wo liegt unsere Aufmerksamkeit?

Unsere Aufmerksamkeit befindet sich in unserem Alltag oft im Außen. Wir sind umgeben von Geräuschen, visuellen Eindrücken, Menschen, Situationen, Aufgaben und Tätigkeiten. Selbst wenn wir abends nach Hause kommen, schalten wir häufig als erstes den Fernseher ein oder stellen Musik an. Unsere westliche Welt wird mehr denn je von äußeren Impulsen dominiert. Und diese äußeren Impulse haben einen enormen Einfluss auf uns. Unser Gehirn verändert sich ständig. Es vernetzt sich neu, es vergrößert Hirnregionen, die häufig genutzt werden, und verkleinert andere Regionen, die selten verwendet werden, wie verschiedene Muskulaturen am Körper, die unterschiedlich oft beansprucht werden. Unser Gehirn unterliegt aber auch unseren inneren Einflüssen. Die Frage ist nur, welche Einflüsse überwiegen? Die äußeren oder die inneren Impulse?

In unserer modernen Zivilisation ist der Fokus auf unser Inneres irrelevant geworden. Stimulationen, Gefühle und Befriedigung werden im Außen gesucht – in materiellen Dingen, in anderen Menschen und in Erlebnissen. Wir hetzen durch unser Leben, jagen dem nächsten aufregenden Ereignis hinterher und konsumieren im Glauben, doch noch irgendwann ein anhaltendes Glücksgefühl kaufen zu können. Das Resultat: überfüllte Terminkalender, innerer Druck und Stress.

Wir sind rastlos geworden, auf der Suche nach etwas, das uns fehlt – das uns scheinbar fehlt. Der einzige Ort, an dem die meisten von uns allerdings nicht suchen, ist ihr Inneres. Und es kann uns niemand verübeln. Denn es wurde uns nicht beigebracht. Niemand hat uns gelehrt, nach innen zu horchen. Oft war sogar das Gegenteil gefordert: Gefühle und Empfindungen unterdrücken, darüber hinwegsehen, weitermachen und durchhalten.

Der Blick nach innen hilft uns jedoch, wieder in uns und unserem Körper anzukommen. Wir kommen zur Ruhe und spüren uns wieder. Wir können unsere innere Mitte finden.

Auch wenn die Blickrichtung nach innen zu Beginn ungewohnt sein mag, wird die regelmäßige Praxis von Stille uns zu ausgeglicheneren Menschen machen. Vielleicht ist das Nach-innen-Schauen anfangs sogar auch schmerzhaft, weil dort womöglich verdrängte Emotionen verarbeitet werden wollen. Gib dir also Zeit und erlaube dir, die Erfahrung von Stille langsam anzugehen. Ebenso muss sich die Ausgeglichenheit nicht gleich nach dem ersten Tag einstellen. Ein bis zwei Wochen sind hier ein guter Zeitraum, um erste Veränderungen bemerken zu können.

Stille bedeutet beobachten

Früher war mein Leben ein emotionales Auf und Ab. Manche Ereignisse ließen meine Gefühlswelt nach oben springen, andere nach unten fallen. Meine Emotionen waren wie ein Ball, der von äußeren Einflüssen hin- und hergekickt wurde. Heute, nach jahrelanger Übung in Achtsamkeit, Stille und Meditation, nehme ich Situationen viel bewusster und reflektierter wahr. Ich habe meinen neutralen Beobachter trainiert. Ich beobachte mich, und ich beobachte Situationen, ohne sofort zu reagieren. Ich übe mich darin, alles möglichst klar wahrzunehmen. Die früher zu Erlebnissen dazugedichteten Geschichten wie „der hat mich ja seltsam angeschaut, hat der was gegen mich?“, die mir mein Verstand früher aufgetischt hat, werden durch neutrales Beobachten auf ein Minimum reduziert. Und wenn mir mein Verstand doch wieder ungefragt eine Geschichte erzählt, bemerke ich es zumindest schneller und kann dem entgegensetzen: „Ich weiß nicht, warum er diesen Gesichtsausdruck hatte – vermutlich hatte das gar nichts mit mir zu tun“, und meine aufgewühlten Emotionen neutralisieren sich nach kürzester Zeit wieder.

Stille bedeutet Beobachten, die Sinne weiten, bewusst wahrnehmen, was ist, nicht bewerten, spüren. Dabei nehmen wir automatisch die Aufmerksamkeit von unserem Gedankenstrom weg und richten sie auf den jetzigen Moment. Durch Spüren können wir den Moment erleben. In der Stille stimmen wir uns auf unser Wohlgefühl ein, auf unsere innere Mitte, auf unsere eigene Schwingung, die wir in der Hektik des Alltags oft gar nicht mehr wahrnehmen. Diese Schwingung, dieses Gefühl der Zentriertheit, lässt sich kaum wiedergeben. Müsste ich Zentriertheit in drei Worten erklären, würde ich es wohl mit „gelassen, klar und stabil“ beschreiben.

Wie können wir Stille erfahren?

Es gibt viele Möglichkeiten, Stille zu erfahren. Meditation ist sicherlich eine der besten Arten, um Stille zu erleben. Aber auch ein Spaziergang im Grünen, Sport treiben, ein Bad nehmen oder malen, können uns zur Stille bringen. Je öfter wir uns Zeiten der Stille gönnen, desto mehr können wir diese Qualität in unseren Alltag integrieren.

Wenn wir einmal betrachten, wie viel Zeit wir mit äußeren Dingen und Tätigkeiten verbringen und wie viel Zeit dagegen mit unserem Innenleben, ist es ganz offensichtlich, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit öfter im Außen sind. Und das ist auch okay so. Denn wir leben in einer westlichen Welt, die von uns fordert, dass wir uns mit dem Äußeren beschäftigen. Dennoch können wir aber kurze Zeiten der Stille in unseren Alltag integrieren.

Wir können z. B. immer wieder über den Tag verteilt den Fokus nach außen unterbrechen und uns einen Moment auf unser Inneres konzentrieren, indem wir uns fragen:

  • Wie fühle ich mich gerade?
  • Wie fühlt sich mein Körper an?
  • Fühle ich mich wohl?
  • Ist mir warm oder kalt?
  • Habe ich Energie oder bin ich müde?
  • etc.

Durch regelmäßiges Üben können wir die Qualität der Stille mit in unsere alltäglichen Aufgaben nehmen. Dann sind wir gelassen, klar und stabil.

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