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Das Glücklichsein vom Ziel lösen

„Wenn ich das erst mal erreicht habe, dann werde ich glücklich sein.“ – Diesen Satz hat vermutlich schon jeder einmal gedacht. Die Ansicht, Glück durch Erreichen von Zielen zu erfahren, ist weit verbreitet. Doch dieses Glück ist flüchtig und so projizieren wir es immer weiter auf andere Meilensteine, die es zu erreichen gilt, und begeben uns damit in einen Wettlauf, den wir nicht gewinnen können.

7. Mai 2019

Die meisten sehen ihr Glück in der Zukunft: „Wenn ich erst mal diese Summe im Monat verdiene, dann werde ich glücklich sein.“ „Wenn ich erst mal verheiratet bin, dann werde ich glücklich sein“. „Wenn ich erst mal in der neuen Stadt lebe, dann werde ich glücklich sein“. Sätze wie diese lassen sich unendlich weiterführen. Sie werden von vielen Menschen gedacht. Aber diese Gedanken sind trügerisch. Denn sie führen dazu, dass wir einen Großteil der Zeit unzufrieden leben. Sie verleiten uns dazu, Ziele als Heilsbringer zu sehen, sodass wir nur noch darauf fixiert sind, Ziele zu erreichen, und schnell die Intention dahinter vergessen.

Jemand, der z. B. nicht allein sein kann und sein Glück ausschließlich in einer Beziehung sieht, wird als Single wahrscheinlich sehr unzufrieden sein und enorm viel Energie aufwenden, den nächsten Partner zu finden. Die so wesentliche Frage bei der Partnersuche, welche Eigenschaften ein Partner haben sollte, damit wir uns in der Beziehung wohlfühlen, rückt dabei dann in den Hintergrund. Stattdessen gilt: Hauptsache nicht alleine sein. Auch ich hatte eine solche Phase, in der ich darunter litt, alleine zu sein. Aber dann wurde mir bewusst, dass im Leben alles einem stetigen Wandel unterliegt, also auch mein Single-Dasein nur temporär ist und irgendwann durch eine Beziehung beendet werden wird. Ich verstand, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich ein gemeinsames Leben mit jemandem zusammen aufbauen werde. Aber bis dahin galt es, die Zeit als Single zu genießen und zu nutzen. Ich hatte in dieser Zeit Möglichkeiten, die ich in einer Beziehung nicht habe. Ich musste auf niemanden Rücksicht nehmen. Ich war völlig frei in meiner Zeiteinteilung. Ich konnte tun, was ich wollte. Ich lernte, die besondere Qualität dieser Lebensphase zu schätzen.

Vom Ziel zum Weg

Ich hatte mir also vorgenommen, meinen Fokus auf den Weg zu richten und nicht auf das Ziel. Das Ziel gibt zwar den Weg vor, aber im Weg steckt das Potenzial, nachhaltiges Wohlgefühl zu erfahren. Denn wir verbringen viel mehr Zeit damit, Wege zu beschreiten, als Ziele zu erreichen. Ziele sind lediglich Momente. Wege jedoch sind unser Alltag. Ein erreichtes Ziel ist so flüchtig, so vergänglich. Den Weg dahin begehen wir hingegen oft Wochen, Monate und Jahre.

Außerdem erreichen wir Ziele oft schneller und einfacher, wenn wir uns auf dem Weg dorthin gut fühlen. Wer wird z. B. attraktiver wirken? Jemand, der verzweifelt nach einer Beziehung sucht und sich dabei stark unter Druck setzt, oder jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlt und dadurch Zufriedenheit und Selbstbewusstsein ausstrahlt? Auch berufliche und andere private Ziele werden wir müheloser erreichen, wenn wir das Glück vom Ziel lösen und es stattdessen auch im Weg sehen. Dann nämlich geben wir die Verbissenheit auf und tauschen sie gegen das Wissen ein, dass alles zum richtigen Zeitpunkt kommen wird. Dann nehmen wir den Druck raus, der uns daran hindert, kreativ zu sein. Denn der Prozess, der uns zum Ziel bringt, ist ein kreativer Prozess, und er kann uns große Freude bereiten, vor allem dann, wenn wir ihm Zeit und Raum geben und nicht versuchen, auf Biegen und Brechen so schnell wie möglich ans Ziel zu gelangen. Wenn wir den Weg zum Ziel bewusst gehen, haben wir viele Gelegenheiten, unser Ziel zu verfeinern.

Statt uns täglich darüber zu beklagen, wie schwer es doch ist, wie frustriert wir sind oder dass wir eigentlich schon weiter sein müssten, können wir uns mit der Beharrlichkeit anfreunden. Beharrlichkeit darf hier jedoch nicht mit verbissener Entschlossenheit verwechselt werden. Verbissenheit wird vom Ego hervorgebracht. Beharrlichkeit dagegen kommt vom Bewusstsein. Verbissenheit klingt nach „Ich zieh das jetzt durch“ und „Ich muss das schaffen“. Beharrlichkeit aber sagt „Jeden Tag komme ich meinem Ziel einen Schritt näher“ und „Ich weiß, dass ich es schaffen werde“.

Akzeptieren, was ist

Ein Grund, warum wir unser Glück oft in die Zukunft projizieren, sind die unerwünschten Umstände, die uns gerade umgeben. Der Job macht keine Freude, die Beziehung ist nicht harmonisch, es ist zu wenig Geld da. Aber auch hier hilft es wieder, die Bedeutsamkeit des Weges zu erkennen und zunächst erst mal zu akzeptieren, was ist. Warum schlecht gelaunt und unzufrieden sein, wenn uns diese Gefühle lähmen und schwer machen? Die momentanen Umstände zu akzeptieren, heißt natürlich nicht, sie gutzuheißen. Es bedeutet lediglich, den Widerstand dagegen abzulegen und zu erkennen, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern. Wenn wir eine fremde Stadt erkunden und an unschönen Ecken vorbeikommen, bleiben wir schließlich auch nicht stehen und beklagen uns darüber, ausgerechnet hier gelandet zu sein. Wir erkennen einfach, hier gefällt es mir nicht, und gehen weiter. Im besten Fall überlegen wir noch einen Moment, in welche Richtung wir laufen wollen, und machen uns dann auf den Weg.

Manchmal hilft es auch, unsere Probleme und Lebensumstände in Relation zu setzen. Wir, die wir in der westlichen Welt leben, vergessen nämlich allzu oft die Verhältnismäßigkeiten. Die meisten von uns führen ein äußert privilegiertes Leben und sind sich dessen gar nicht bewusst.

Als ich eine Freundin in Indonesien besuchte, die dort in einem kleinen Dorf in Nord-Sumatra wohnt, machte ich einen Ausflug mit einem der Dorfbewohner. Wir unterhielten uns den ganzen Tag lang über Gott und die Welt. Es war spannend, seine Sicht auf die Welt kennenzulernen. Irgendwann kamen wir dann auf meine Reise zu sprechen, und er fragte mich, wie viel ich für meine Flüge bezahlt hätte. Ohne zu überlegen, nannte ich ihm die Summe, und er antwortete darauf: „Das ist weit mehr als ein Arbeiter hier im ganzen Jahr verdient“. Das war ein Schockmoment für mich. Ich wusste natürlich bereits, dass es einen enormen Einkommensunterschied zwischen den Touristen und den Einheimischen gibt. Trotzdem war diese Aussage für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Es war einer dieser Momente, in dem es in meinen Gehirn blitzt und funkt und ich augenblicklich die Dinge mit anderen Augen sehe. Ich war sprachlos und erkannte das tatsächliche Ausmaß meines privilegierten Lebens. All das heißt allerdings nicht, dass mein indonesischer Bekannter weniger glücklich ist als ich. Es bedeutet einfach nur, dass ich gesellschaftlich bedingt leichteren Zugang zu einem großen Spektrum an Möglichkeiten habe. Und diesen einfachen Zugang sollten wir niemals als Selbstverständlichkeit sehen, sondern stattdessen täglich dankbar dafür sein.

Also wenn z. B. der Job gerade nervt, haben wir zumindest einen, mit dem wir unsere Miete bezahlen können. Und parallel können wir trotzdem nach neuen beruflichen Möglichkeiten Ausschau halten. Wenn mich etwas stört, frage ich mich inzwischen oft, ob meine Situation, über die ich mich gerade so aufrege, für jemand anderen vielleicht eine Wunsch-Situation wäre. Mein indonesischer Bekannter würde vermutlich Luftsprünge machen, wenn er ein westliches Durchschnittsgehalt verdienen würde.

Ohne Herausforderung kein Wachstum

Am liebsten wäre es uns, wenn wir dauerhaft bis an unser Lebensende glücklich wären. Doch wir wissen natürlich, dass das eine Wunschvorstellung und nicht die Realität ist. Von Zeit zu Zeit werden wir nun mal vor Herausforderungen stehen und uns dabei nicht besonders gut fühlen. Aber auch diese Phasen können wir als Geschenk betrachten. Denn Herausforderungen lassen uns wachsen. Sie motivieren uns dazu, uns zu bewegen. Wenn wir das erkennen, können wir das schlechte Gefühl schätzen lernen. Natürlich wird es sich weiterhin unangenehm anfühlen, sodass wir es nach wie vor so schnell wie möglich loswerden wollen. Das schlechte Gefühl schätzen zu lernen, heißt nicht, es zu glorifizieren. Es zeigt uns nur, dass wir etwas in unserem Leben verändern sollten, dass es einen Teil in uns gibt, der sich weiterentwickeln möchte. Unsere Gefühle sind unsere Wegweiser.

Zugegeben, bei großen Herausforderungen und Problemen das Geschenk darin erkennen, ist nicht einfach. Gerade, wenn starke Gefühle von Unzufriedenheit präsent sind, ist es einfacher, zu sagen „Alles scheiße!“ als „Was kann ich hier lernen?“. In jeder Herausforderung steckt jedoch eine Lernaufgabe, die darauf wartet, erkannt zu werden. Sie wird uns wachsen lassen. Und dieses persönliche Wachstum ist es, das uns große Freude und nachhaltiges Glück bereiten kann.

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