Vergebung – Ein Akt der Selbstbefreiung
Um ein wirklich glückliches Leben führen zu können, müssen wir lernen, zu vergeben. Denn solange wir Groll gegenüber anderen hegen und uns wünschen, dass vergangene Ereignisse anders verlaufen wären, solange verwehren wir uns auch unserem inneren Frieden. Was braucht es also, um verzeihen zu können?
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Vergebung war eine große Lektion, die ich lernen musste. Ich war früher auf so einige Menschen wütend: auf meine Eltern, auf andere Familienmitglieder, auf Leute aus meiner Schul- und Teenagerzeit, um nur ein paar zu nennen. Ich machte sie damals dafür verantwortlich, dass ich mein Leben nicht so leben konnte, wie ich es wollte. Sie verhielten sich nicht so, wie ich es mir wünschte. Und ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht so akzeptierten, wie ich bin. Diese Gedanken hielten mich in einer Opferhaltung gefangen, die mich klein und machtlos fühlen ließ.
Und tatsächlich war ich in gewisser Weise auch machtlos. Ich hatte nämlich mit dem Groll, den ich hegte, meine Macht an genau die Menschen abgegeben, gegen die der Groll gerichtet war. Nicht sie waren es also, die mir meine Stärke genommen hatten, sondern ich hatte mich selbst meiner eigenen Stärke beraubt. Das Bizarre dabei war jedoch vor allem, dass ich diesen Groll viele Jahre lang mit mir herumtrug, obwohl ich mit der Zeit mit den meisten von ihnen gar keinen oder kaum noch Kontakt hatte. Ich hatte also meine Stärke genau genommen nicht an diese Leute abgetreten, sondern ich hatte sie an ein von mir konstruiertes mentales Bild dieser Menschen abgegeben. Mit anderen Worten: Nicht die Menschen, auf die ich wütend war, sondern mein eigenes Gedankenkonstrukt über diese Menschen beraubte mich meiner eigenen Stärke.
Ich war also schlichtweg Gefangener meiner Gedanken und Überzeugungen. Ich dachte immer wieder über die nach, die mir Unrecht getan hatten. Ich erzählte mir immer wieder, was sie falsch gemacht hatten und warum ich deshalb wütend auf sie sein musste. Die tatsächlichen Ereignisse lagen Jahre zurück, aber in meinen Gedanken ließ ich zu, dass sie mich immer wieder aufs Neue verärgerten. Alles passierte also allein in meinem Kopf. Und genau hier liegt der Schlüssel: Wenn wir erkennen, dass all die Wut über vergangene Geschehnisse und Menschen, die uns verletzt haben, sich ausschließlich in unseren Gedanken abspielt, können wir den ersten Schritt in Richtung Vergebung gehen.
Buddha hat einmal gesagt: „An Ärger festzuhalten, ist wie Gift zu trinken und zu erwarten, dass der andere dadurch stirbt.“ Das heißt, wir vergiften mit unseren Gedanken und unserem Ärger ausschließlich unser eigenes System. Die Menschen, gegen die die Wut gerichtet ist, bekommen davon nichts oder vergleichsweise wenig mit. Unser Groll aber beeinflusst unser gesamtes Leben. Er hält uns davon ab, unser höchstmögliches Potenzial zu leben. Er verschmutzt unseren Charakter. Er hemmt unsere Kreativität und raubt uns Energie. Er lässt uns oft bei Kleinigkeiten überreagieren. Kurzum: Mit Groll in uns ist es nicht möglich, inneren Frieden zu erlangen.
Vergebung hat nichts mit dem anderen Menschen zu tun
Jemandem zu vergeben, bedeutet nicht, Freunde zu werden oder denjenigen wieder in unserem Leben willkommen heißen zu müssen. Es bedeutet nicht, dass wir denjenigen mögen müssen, und nicht, dass wir das, was passiert ist, gutheißen müssen. Vergebung hat nichts mit dem anderen Menschen zu tun.
Vergebung ist ein Geschenk an uns selbst. Es ist ein Akt der Selbstbefreiung. Vergebung meint, die Hoffnung aufgeben, dass die Vergangenheit anders hätte sein können. Vergebung bedeutet, die Vergangenheit so zu akzeptieren, wie sie nun einmal ist. Vergebung heißt, erkennen, dass der andere sein Bestmögliches getan hat. Das mag nicht besonders gut gewesen sein, aber es war das Beste, wozu er in der Lage war. Er wusste es nicht besser. Hätte er es besser gewusst, hätte er auch besser gehandelt. Die Ansicht, jemand hätte anders reagieren müssen, lässt uns am Groll festhalten. Doch zu erkennen, dass derjenige das Beste getan hat, was für ihn zu dem Zeitpunkt möglich war, lässt uns vergeben. Und wenn wir das tun, können wir uns von unserer emotionalen Last befreien und leichter durchs Leben gehen.
Drei Übungen zur Vergebung
Oftmals braucht es etwas Übung, um den eigenen Vergebungsprozess anzustoßen. Ich möchte dir dazu drei Übungen vorstellen, mit denen du alte Gedanken des Grolls und Ärgers durch neue Gedanken der Liebe und Akzeptanz austauschen kannst. Sie werden dir helfen, den Weg der Vergebung zu gehen.
Falls du bei einer Übung einen starken Impuls der Abwehr verspürst, kann das ein Zeichen dafür sein, dass genau das die richtige Übung für dich ist. Falls du die Übungen für negative Erlebnisse in der Kindheit oder für traumatische Erlebnisse anwenden möchtest, überspringe bitte die erste Übung und mache nur Übung Nr. 2 und Nr. 3.
Falls du dir zusätzliche Unterstützung wünschst oder besonders effektiv an deinem Vergebungsprozess arbeiten möchtest, kannst du auch gerne ein Coaching bei mir buchen.
Übung Nr. 1) Reflexion: Was war mein Anteil an der Geschichte?
Meine Gedanken über die Leute, denen ich früher nicht vergeben konnte, waren zum Beispiel die beiden folgenden: Sie sind verantwortlich, dass ich mein Leben nicht so leben kann, wie ich es möchte. Und: Sie haben mich nicht so akzeptiert, wie ich bin. Vorwürfe entstehen meist in uns, wenn wir uns verletzt oder benachteiligt fühlen. In solchen Momenten aber können wir meist nicht objektiv denken, und unser Blick ist von negativen Emotionen getrübt. Deshalb ist es sinnvoll, unsere Vorwürfe ganz bewusst und mit klarem Verstand zu betrachten.
Schritt 1: Notiere auf einem Blatt Papier alle deine Gedanken und Vorwürfe über jemanden, dem du bisher nicht vergeben konntest.
Es ist meist sehr aufschlussreich, zu erforschen, ob diese Gedanken wirklich wahr sind und welchen Teil wir selbst womöglich dazu beigetragen haben.
Schritt 2: Stelle dir zu jedem Gedanken folgende vier Fragen.
- Kann ich zu 100 Prozent sicher sein, dass dieser Gedanke wahr ist?
- Habe ich vielleicht selbst das getan, was ich dem anderen vorwerfe?
- Was habe ich dazu beigetragen, dass derjenige sich so verhalten hat?
- Welche Lektion kann ich hier lernen?
Versuche, diese Fragen wirklich unvoreingenommen und ehrlich zu beantworten, und bedenke dabei: Es ist viel einfacher, die Schuld einfach auf andere zu schieben. Doch das bringt uns im Prozess der Vergebung nicht weiter.
Ich möchte dir anhand meiner eigenen Vorwürfe gegenüber Menschen aus meinem Leben zwei Beispiele dazu geben: Vorwurf 1: Sie sind verantwortlich, dass ich mein Leben nicht so leben kann, wie ich es möchte. – Wenn ich diesen Gedanken wirklich mit offenen Augen betrachte, dann erkenne ich, dass er nicht wahr ist. Dann sehe ich, dass ich selbst dafür verantwortlich war, dass ich nicht so lebte, wie ich es wollte. Ich gab mir selbst nicht die Erlaubnis dazu, so zu sein und mich so zu zeigen, wie ich bin. Ich projizierte lediglich meine eigene Einschränkung auf die Menschen um mich herum. Die Lektion, die ich hier zu lernen hatte, war demnach, mutig zu sein und anzufangen, mein Leben endlich so zu führen, wie ich es mir vorstellte.
Vorwurf 2: Sie haben mich nicht so akzeptiert, wie ich war. – Ich weiß nicht sicher, ob der Vorwurf wahr ist. Was ich aber weiß, ist, dass ich mich damals selbst nicht so akzeptierte, wie ich bin. Und ich weiß auch, dass ich die anderen ebenfalls nicht so annahm, wie sie waren. Ich wünschte mir, sie wären anders gewesen und hätten sich anders verhalten – was am Ende jedoch bedeutet, dass ich exakt dasselbe getan habe wie sie. Die Lektion war also, dass ich mich selbst so annehme, wie ich bin und auch andere so akzeptiere, wie sie sind.
Manchmal müssen wir unseren inneren Widerstand überwinden, um diese Fragen ehrlich beantworten zu können. Aber es lohnt sich! Mit diesen Fragen können wir zu großen Erkenntnissen gelangen und folglich zu mehr Kraft und innerer Stärke finden.
Übung Nr. 2) Einen Brief schreiben
Es ist oft sehr hilfreich, unsere Gedanken zu Papier zu bringen. Schreiben kann sehr therapeutisch wirken. Denn beim Schreiben ordnen sich unsere Gedanken ganz von allein. Wir gehen in die Stille, wir reflektieren und nehmen eine beobachtende Haltung unseren Gedanken gegenüber ein.
Um jemandem zu vergeben, kann es also förderlich sein, demjenigen einen Brief zu schreiben. Der Brief wird letztlich aber nicht versendet. Es geht bei dieser Übung allein darum, unsere Gedanken zu Papier zu bringen. Wir versinken in uns und schauen, was gesagt und was verarbeitet werden will. Lass in deinem Brief ruhig all deinen Emotionen freien Lauf. Der Brief wird von niemandem gelesen – du kannst also alles darin schreiben, was du möchtest. Versuche, dich nicht zu limitieren. Schreibe einfach alles auf, was dir in den Sinn kommt.
Vielleicht schreibst du nur einen Brief, vielleicht schreibst du aber auch mehrere Briefe. Horche ein paar Tage, nachdem du den ersten Brief verfasst hast, in dich hinein, ob es noch mehr zu sagen gibt. Oft braucht es mehrere Briefe. Dabei kann unser Geschriebenes am Anfang noch voller Wut sein, wird dann aber von Brief zu Brief immer verständnisvoller und vergebender. Die Kraft von geschriebenen Worten ist groß.
Übung Nr. 3) Liebe senden
Die dritte Übung ist eine meiner liebsten Übungen. Sie hat mir schon sehr oft geholfen – sei es bei Ereignissen, die Jahre zurückliegen, oder auch bei aktuellen Situationen, die Ärger in mir erzeugen.
Schließe für die Übung deine Augen und stelle dir die Person, der du noch nicht vergeben konntest, vor deinem geistigen Auge vor.
Stelle dir im nächsten Schritt bildlich vor, wie du der Person Liebe sendest. Wenn du magst, kannst du dir dabei auch einen Energiefluss oder einen Lichtstrahl denken. Halte dieses Bild für ein paar Minuten.
Stelle dir dann am Ende der Übung vor, wie sich der Lichtstrahl auflöst und ihr beide wieder eure eigenen Wege geht.
Mit der Liebe, die du der anderen Person schickst, löst du alle negativen Verbindungen zu ihr auf. Alle negativen Verbindungen verschwinden in der Liebe, die du sendest.
Vielleicht klingt das für manche etwas zu spirituell. Aber auch in dieser Übung geht es darum, die alten belastenden Gedanken mithilfe unserer Vorstellungskraft durch neue positive auszutauschen. Für mich ist diese Übung sehr kraftvoll. Es gab für mich bisher noch keine Person, der ich damit nicht vergeben konnte. Manchmal reicht es, diese Übung einmal durchzugehen. Und manchmal braucht es viele Male – vielleicht jeden Tag einen Monat lang, vielleicht auch länger. Das wird jeder für sich herausfinden.
Auch bei dieser Übung kann großer Widerstand in uns auftreten. Daher weigern wir uns zuweilen, eine solche Übung zu machen. Ein Teil in uns, der sich nicht weiterentwickeln möchte, blockiert uns. Es liegt dann an uns, auf welchen inneren Anteil wir hören: auf den, der vergeben und sich weiterentwickeln möchte, oder auf den, der uns blockiert und am Groll und der Wut festhalten will.
Ich habe aus dieser Übung eine geführte Meditation erstellt:
Das Glücklichsein vom Ziel lösen
Wenn ich das erst mal erreicht habe, dann werde ich glücklich sein.“ – Diesen Satz hat vermutlich schon jeder einmal gedacht. Die Ansicht, Glück durch Erreichen von Zielen zu erfahren, ist weit verbreitet. weiterlesen
Innere Stabilität
Manche Menschen scheinen mit einer besonderen inneren Stabilität gesegnet zu sein. Wo andere mit Wut, Frustration und Angst reagieren, bleiben sie ruhig und stabil. Was machen sie anders? weiterlesen
Weißt du, was du willst?
Auf diese Frage, die ich oft stelle, wenn sich jemand mal wieder über sein Leben beklagt, bekomme ich oft nur ein zögerndes „Nein, weiß ich nicht“ zur Antwort. So verwundert es nicht, dass derjenige … weiterlesen